Stichwort
Australien: Woran denken Sie zuerst? Wahrscheinlich an das Känguru.
Gemeinsam mit dem Emu rahmt es das australische Wappen. Neben der
Fluggesellschaft Qantas benutzen fast 1.000 australische Unternehmen
das Symbol, und in jedem Souvenir-Shop Australiens dominieren Artikel
rund um das Känguru das Angebot.
Code
of Practise
So
ist es für Nicht-Australier überraschend, dass Nacht für Nacht rund
20.000 dieser Kreaturen dem Gewehr der 'Kangaroo Shooters' zum Opfer
fallen. Vom Schweinwerfer der Geländewagen geblendet, bieten die
Herden eine leichte Beute. Auch weibliche Tiere mit Nachwuchs werden
nicht verschont. Der 'Code of Practice for the Humane Shooting of
Kangaroos' der australischen Landwirtschaftsminister schreibt das
Erschlagen des noch im Beutel befindlichen Nachwuchses vor. Känguru-Weibchen
haben meist noch ein älteres Jungtier, das - verwaist - zugrunde
geht. Genau wie etwa 15 % der Tiere, die schwer verletzt den Jägern
entrinnen, kommen ungefähr eine Million "Joeys" jährlich
auf diese Weise um. Sie werden im Code of Practice nicht erwähnt.
Die Richtlinie schreibt die Tötung durch Kopf- oder Herzschuss vor.
In der Realität ist selbst der einfacher zu treffende Kopf aufgrund
seiner Größe ein leicht zu verfehlendes Ziel. Der ehemalige Jäger
David Nicholls: "Wir haben der Einfachheit halber meist auf
die Läufe gezielt. Es konnte eine Weile dauern, bis wir alle auf
diese Art und Weise verletzten Tiere erschießen konnten. Manche
waren noch in der Lage, schwer verwundet zu flüchten, zum Teil mit
heraushängendem Gedärm." Einige der Tiere sind noch bei Bewusstsein,
wenn ihnen das Bein aufgeschlitzt wird, an dem sie für den Transport
aufgehängt werden. 50 % der Beute wird im Endeffekt nicht verarbeitet,
weil der Kadaver verschmutzt war oder nicht schnell genug das Kühlhaus
erreicht hat.
Kangaroo
Industry
Der Code of Practice macht keine Vorschriften zur Auswahl der Tiere.
Die Größe zählt für die vom Staat subventionierte 'Kangaroo Industry',
die rund 4.000 Mitarbeiter beschäftigt. Laut Maryland B. Wilson,
der Präsidentin des Australian Wildlife Protection Councils (AWPC)
ist das Durchschnittsalter bei Rotkängurus von 12 Jahren in den
60er Jahren auf heute zwei Jahre zurückgegangen, das mittlere Gewicht
von 35 auf 18 kg. In Südaustralien beklagen Jäger bereits, dass
sie bestenfalls mittelgroße Kängurus antreffen.
Nach
Ansicht des von Paul McCartney und Brigitte Bardot unterstützten
AWPC wird das Rotkänguru bereits dreimal so häufig erlegt wie es
sich fortpflanzen kann. Dr. Ian Gunn, Leitender Tierarzt und Projektleiter
des Animal Gene Storage Centres in Neusüdwales warnt vor der von
wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmten Auslese. Der Genpool
würde durch die Elimination des männlichen Alphatieres und seinen
unmittelbaren Konkurrenten sowie älteren Weibchen stark beeinträchtigt.
Seine
Bedenken sind nicht unbegründet: 18 ausgestorbene Säugetierarten
sind die Bilanz von 200 Jahren Siedlertum, sechs davon zur Kängurugattung
gehörend. 45 Säugetierspezies Australiens sind heute vom Aussterben
bedroht - ein trauriger Weltrekord.
Verfolgung
und Jagd
Vor 27 Jahren führte die australische Regierung die Abschussquote
ein, damals wurden 885.000 Lizenzen erteilt. Zur Prüfbarkeit dieser
müssen erlegte Tiere mit einer Marke gekennzeichnet werden. Dieses
Jahr legte Umweltminister David Kemp die Zahl auf 6,9 Mio. fest
- gegen den Antrag der Einzelstaaten auf insgesamt 9 Mio. Die Quote
bezieht sich auf Rote und Graue Riesenkänguru, das Bergkänguru sowie
das Hübschgesichtwallaby.
Regierungsmitglieder
argumentieren, dass Kängurupopulationen bereits Plage-Ausmaße erreicht
hätten. Dr. Ian Gunn hält die angenommene Schätzung von zur Zeit
58 Mio. Kängurus jedoch für viel zu hoch. Auch große Vorkommen rechtfertigen
für Tierschützer keine Jagd: "Es gibt genug Möglichkeiten,
die Ausbreitung von Kängurus einzuschränken, ohne sie zu töten,"
gibt Pat O'Brien, Präsident der Wildlife Protection Association
zu bedenken. "Beispielsweise würden solarbetriebene Elektrozäune
die Tiere vom Eindringen in Weidegebiet abhalten."
Beuteltiere
als Feindbild
Manche
Farmer greifen auch ohne Genehmigung zum Gewehr. Laut Nicholson-Report
werden jährlich ca. eine Million illegal erlegte Tiere als kostenloses
Futter für Wach- und Hütehunde missbraucht.
Maryland
Wilson: "Das Känguru als Feindbild hat beim Großteil der australischen
Bauern Tradition. Schon Kindern wird beigebracht, dass Kängurus
Ungeziefer sind, die auf Kosten der Farmer leben." Diese Einstellung
führt zum Teil zu grausamer Behandlung der Tiere.
Sue
Arnold, eine ehemalige Reporterin und Begründerin von Australians
For Animals: "Ich habe in meiner Journalistenlaufbahn viele
Gräueltaten gegenüber Kängurus beobachten können. Sie wurden abgeschlachtet,
absichtlich überfahren, gekreuzigt, ausgehungert und vergiftet -
Bilder, die ich nie vergessen werde."
Unbegründeter
Futterneid
Wissenschaftliche
Untersuchungen bescheinigen den Tieren einen weitaus geringeren
Negativ-Einfluss als allgemein geglaubt. Eine Studie der Universität
von Neusüdwales zeigt, dass 95 % der Weizenfelder von Kängurus nie
besucht werden. Dr. Steven McLeon vom Landwirtschaftsministerium
in Neusüdwales wies in einer Untersuchung nach, dass selbst in Dürrezeiten
keine Nahrungskonkurrenz zwischen Kängurus und Schafen besteht.
Im Gegensatz zu den Sträucher bevorzugenden Schafen fressen Kängurus
vornehmlich einheimische Gräser, dessen Saat sie in ihren Exkrementen
wieder dem Boden zuführen.
Für die von den eingeführten Paarhufern ausgelöste Bodenerosion
sind Kängurus aufgrund ihrer weichen Läufe nicht verantwortlich.
Für Dr. David Freudenberger von der Commonwealth Scientific and
Industrial Research Organisation (CSIRO), ist diese Tatsache irrelevant.
Die Auswirkung von Schafen und Kängurus auf Weideland sei gleich
negativ, die Fußbeschaffenheit zweitrangig.
Seiner
Meinung nach vermehrten sich Kängurus aufgrund des zum Schutze des
Viehes aufgestellten Dingo-Abwehrzaunes zu stark. Der australische
Wildhund war vor der Errichtung ein natürlicher Feind der Jungtiere
der Spezies. Känguru-Vorkommen schwankten jetzt nur noch mit der
Menge des Niederschlages. Durch das Anlegen künstlicher Wasserstellen
im Abstand von fünf Kilometern seien sie jedoch nicht mehr ausreichend
von Dürrezeiten betroffen, die normalerweise zu einem Aussetzen
der Fruchtbarkeit und dem Eingehen schwächerer Tiere führen.
Das
Fleisch
Trotz des Vorhandenseins künstlicher Tränken sind sowohl Viehherden
als auch Wildtiere von der derzeitigen Trockenperiode stark betroffen.
Michael Archer, Direktor des australischen Museums in Sydney, befürwortet
die Kängurujagd als "Erlösung vor dem Hungertod".
Er
spricht sich außerdem für die Känguruzucht als Einnahmequelle für
Farmer aus. Katherine Rogers, Vice President der World League for
the Protection of Animals widerspricht dieser Ansicht: "Eine
Zucht ist abgesehen von ethischen Einwänden wirtschaftlich nicht
sinnvoll. Ein etwa zehnjähriges Rotkänguru von 60 kg liefert nur
6 kg essbares Muskelfleisch - der Rest kann nur für Tierfutter,
Knochenmehl und Seifengrundstoff verwendet werden."
Die
Schlachtung in der freien Wildbahn in Anwesenheit von Fliegen, Staub
und Kot ist weit von den Hygienestandards eines Schlachthauses entfernt.
Darüber hinaus sind Kängurus häufig Wirte von Nematoden, Toxoplasmosis-Erregern
und Salmonellen. Die ungewöhnliche Farbe und die größere Zähigkeit
aufgrund des geringen Fettanteils waren Gründe für die jahrzehntelange
Ablehnung des Fleisches durch die europäischen Siedler. Vor 22 Jahren
legalisierte Südaustralien als erster Bundesstaat den Verkauf, erst
1993 folgte Neusüdwales. Seitdem ist das als cholesterinarm vermarktete
Fleisch populärer geworden.
Der Löwenanteil des Kängurufleisches ist für den Export bestimmt.
Deutschland gehörte mit einer Einfuhr von über 400.000 Kilogramm
1998 noch zu den größten Absatzmärkten. Dieser Trend ist jedoch
rückläufig; im letzten Jahr wurden von der Bundesrepublik nur noch
125.000 kg eingeführt. Beliebt ist Känguru auch in den Balkanstaaten
sowie in Frankreich, Holland und Belgien. Ein dreijähriger Protest
der britischen Vegetarierorganisation Viva! führte dazu, dass die
großen britischen Supermarktketten das Fleisch 1998 aus dem Programm
nahmen.
K
leather / RKT
Eine
gestiegene Nachfrage besteht an dem in einer Studie der CSIRO gepriesenen
Känguruleder. Demnach ähnelt die Faseranordnung in der Känguruhaut
eher der von Reptilien und Vögeln als der von Rindern und ist deutlich
reißfester. Verwendung findet das Material neben Golf- und Baseballhandschuhen
hauptsächlich in Fußballschuhen, häufig bezeichnet als "K leather"
oder RKT (rubberised kangaroo technology).
Die
italienische Lederindustrie importiert den größten Teil. 450.000
Häute wurden 2001 dort eingeführt, 150.000 mehr als im Vorjahr.
Auch deutsche Lederverarbeiter haben Gefallen an dem besonders weichen
Material gefunden: Im Jahre 2000 wurden 15.000 Häute importiert,
im letzten Jahr bereits 125.000. Größter Einzelabnehmer des Leders
ist der adidas-Konzern, der es beispielsweise in dem von David Beckham
getragenen "Predator"-Fußballschuh verarbeitet. Über
10.000 Protestschreiben infolge eines Aufrufs von Viva! gingen diesbezüglich
bei Adidas ein.
Die
Pressestelle antwortete mit dem Hinweis auf die von der australischen
Regierung garantierten Einhaltung des Code of Practice.
Tourismus:
Kängurus sind lebendig mehr wert als tot!
Ökonomisch bedeutsamer als der Fleisch- und Lederexport ist die
Tourismusbranche Australiens - und Besucher wünschen sich den Anblick
von lebendigen Kängurus in freier Wildbahn.
"Touristen
beklagen häufig, dass sie außer auf den Fernstraßen totgefahrenen
kaum Kängurus zu Gesicht bekommen haben. Die überwiegend negative
Einstellung von Farmern macht die Expansion von Outback-Safaris
jedoch schwierig", erklärt der Biologe Dr. David Croft.
"Dabei
wäre das Modell der Wildbeobachtung in den südafrikanischen Nationalparks
durchaus auf Australien übertragbar." Richard Jones, Mitglied
des Legislative Councils des Parlaments von Neusüdwales spricht
sich ebenso für eine Ausweitung des Ökotourismus aus.
"In
den 20er Jahren wurden Koalas gejagt - bis der amerikanische Präsident
Hoover den Import der Felle stoppte. Bis 1978 war Australien eine
der größten Walfangnationen, was fast zum Verschwinden des Buckelwals
an der Ostküste geführt hätte. Heute macht die Tourismusbranche
mit Whale Watching größere Umsätze als mit der Fleischproduktion
je erzielt werden konnten. Es bleibt zu hoffen, dass man in Australien
bald realisiert, dass Kängurus lebendig mehr wert sind als tot."
Stefanie
Hilscher
Quellen
"The Kangaroo BETRAYED. World's Largest Wildlife Slaughter."
AWPC 1999
www.awpc.org.au
www.wlpa.org
www.savethekangaroo.com
www.planetark.com
www.digitaljournal.com
www.csiro.au/news/mediarel/mr1998/mr98176.html
(Dr. David Freudenberger)
CSIRO-Studie "A Comparative Morphology of Kangaroo and Bovine
Leathers"
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